Und als ich Henry abholte, fragte ich mich, ob er wirklich der Mühe wert sei oder ob ich ihn nicht doch gleich beim nächsten Sperrmüll mit rausstellen sollte....
Die Frau, die ihn mir verkauft hat, fragte mich, was ich denn damit vorhätte. Als ich sagte, dass ich ihn wieder zum Spinnen bringen wollte, schaute sie mich ungläubig an. So etwas hatte sie wohl nicht erwartet.
Und so sah er aus:

Was mir Hoffnung gab, war die offensichtliche Tatsache, dass er zum Arbeiten gemacht worden war und auch über die Jahrhunderte zum Arbeiten benutzt worden war. Davon zeugten etliche Fadenreste auf der Spule und dass alle notwendigen Teile noch vorhanden bzw. ersetzt worden waren - mehr oder weniger fachmännisch.

Die Fasern sahen aus und fühlten sich an, als wären sie um die Zeit des Zweiten Weltkriegs da drangeknüpft worden, was vermutlich auch stimmt.
Was mich am Anfang etwas zweifeln ließ, ob ich ihn wirklich wieder flott bekäme, war der Zustand des Schwungrads.


Eine der alten Speichen war so wurmzerfressen, dass sie mir beim Putzen prompt zerbrach und das ganze Ding hatte einen fürchterlichen "Achter" im Reifen, von den klaffenden Lücken wollen wir gar nicht sprechen.
Aber dann habe ich hier mal quergelesen und gedacht: Ich mach es einfach! Mehr als schiefgehen kann es nicht. Wenn ich es nicht hinkriege, so bin ich doch wenigstens um ein paar Erfahrungen reicher. Ich musste mir ein bisschen den Respekt vor diesem Uralt-Teil abgewöhnen. Die Hemmungen, so ein echt antikes Teil mit Bohrer, Schleifpapier etc. zu malträtieren und wohlmöglich restlos zu ruinieren. Ich meine, ich hab nicht wirklich Erfahrung im Aufarbeiten von antiken Sachen. Wie schon beim Spinnen war es Learning by Doing - and of course reading here
![zufrieden :]](./images/smilies/pleased.gif)
Aber schließlich ist es meiner! So! Und was mir gehört, darf ich auch kaputtmachen, selbst wenn es (geschätzte) zweihundert Jahre auf dem Buckel hat. Schlimmer als das, was ihm bevorsteht, wenn ich nichts mache, kann es nicht mehr werden.
Also hab ich ihn erst einmal mit Wasser, Neutralreiniger und Spezialschwamm gewaschen und dann gründlich zerlegt. Tatsächlich war das Rad so wackelig, dass ich bald ein Viertel des Reifens in der Hand hielt.

Mir war klar, dass ich ihn würde streichen müssen, wenn er je nach irgendwas aussehen sollte. Er besteht aus mindestens vier verschiedenen Sorten Holz. Also erkundigte ich mich im Fachgeschäft, erwähnte dabei, dass ich ihn mit Neutralseife gewaschen hatte - und bekam prompt den Auftrag, ihn noch einmal mit Ablaugsalz zu waschen, damit die Seifenreste aus der Oberfläche wieder herauskämen. Was bei dieser zweiten Wäsche noch an Dreck herunter kam, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Dann ging ich dran, die Metallteile zu entrosten, den Spindelapparat schon mal abzuschleifen und die Mother of all in eine Form zu bringen, in der sie wieder tut, wozu sie da ist. Ließ sich nämlich nur ein kleines Stück reindrehen, dann war Schluss, aber so richtig. Also vooorsichtig so lange an dem hölzernen Gewinde rumgeschliffen und geputzt, bis es wieder passte. Das Innere der Mutter hab ich mit dem kratzigsten Stück meiner selbstgesponnenen Wolle, in Spiritus getränkt und um einen Kochlöffelstiel gewickelt, geputzt. Das Innere der Spule übrigens mit in Spiritus getränkten Pfeifenputzern, um die uralten, verharzten Schmierstoffe herauszubekommen. Geht ganz prima.
... und schließlich hab ich das Schwungrad komplett zerlegt, die Speichen geflickt und geklebt, die Wurmlöcher zugespachtelt und dabei festgestellt, dass meine eigene Ungeduld ein großer Feind des Erfolges ist ... geleimte Stellen wollen einfach etwas mehr Zeit haben als ich ihnen geben wollte. So musste manches mehrmals geflickt und geklebt werden, bis es hielt.
Die unsachgemäßen Reparaturen meiner Vorgänger mussten z.T. korrigiert werden - die Speichen waren unterschiedlich lang und manche nicht richtig in der Nabe versenkt, was dazu führte, dass der Reifen so seltsam aussah und die Lücken so groß waren. Also geschliffen, bis es passte, eine Speiche mit einem kleinen Dübel verlängert, zwei neue Löcher in den Reifen gebohrt und die alten zugekittet.
Dann ging es ans Schmirgeln ... alles von Hand. Zum Glück war das Wetter mild, so dass ich das meiste auf dem Balkon machen konnte.
Den Rahmen hab ich dann noch ein drittes Mal gewaschen, wegen einiger sehr verschlonzter Stellen, an denen das Fett der Jahrhunderte immer noch klebte. Dann hab ich alle Wurmlöcher zugekittet. Es waren viele. Und weiter geschmirgelt.
Dann kamen zwei bis drei Schichten kastanienbrauner Lacklasur drauf. Auch hier wieder die verdammte Ungeduld ... manche Stellen muss ich noch mal nachbearbeiten *seufz*
Eine Stunde lang herumgebastelt, bis alle Speichen wieder da waren, wo sie hingehörten. Rad zusammengesetzt und eine der geflickten Speichen prompt wieder zersprengt - noch mal geklebt und gehofft, dass es diesmal hält. Die Leimzwinge hat ein paar Abdrücke im Lack hinterlassen...
Geleimt, mit einer Schnur und einem Knebel zusammengezwungen und diesmal tatsächlich lange genug gewartet

Das Rad eiert immer noch ein kleines Bisschen, aber das macht nix.
Beim endgültigen Zusammensetzen hab ich festgestellt, dass die Spindel etwa einen halben Zentimeter zu lang ist und mir diesen schönen, mühsam lackierten Kopf der Mother of all zerkratzt - also zum Nachbarn, eine Metallsäge geborgt (nachdem ich mich vergeblich bemüht hatte, mit der Feile irgendwas auszurichten), mit vereinten Kräften ein Stück abgesägt.
Zum Schluss hab ich noch das Bett für den Spindelkopf mit einem Filzstück ausgekleidet (Holz auf Holz tut dem Lack nicht wirklich gut), ein Stückchen Leder in das Loch vom Knecht geklebt, dieses und die anderen Lederlager schön gefettet und ihm als Antriebsriemen eine hübsche braune Schnur aus dem Bastelgeschäft besorgt, die sich garantiert nicht dehnt - und eine Holzperle für das Ende der Welle - die einzigen notwendigen Teile, die wirklich fehlten. Erst wollte ich die Perle auch lackieren, aber sie korrespondiert farblich so schön mit den Zierknöpfchen aus Elfenbein

Et voilà:

So sieht er also nach etwa drei Wochen harter Arbeit aus

Er läuft sehr leise und spinnt nicht schlecht. Allerdings muss man ihn sehr sanft treten, sonst gerät der Rahmen zu sehr in Schwingung - er ist ein bisschen kopflastig und zu leicht, aber daran kann ich nichts ändern. An der Bremse muss ich noch ein bisschen arbeiten.
