Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

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moniaqua
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Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

Beitrag von moniaqua » 13.05.2021, 14:13

Grüß Euch,

neben meinem Fantasia ist inzwischen das Spinnrad meiner Eltern bei mir eingezogen.

Es hat ein eher kleines Einzugsloch und kleinere Spulen, einen Wocken und ist von der Übersetzung her für mein Empfinden eher gemütlich.

Ich habe bisher nur Wolle darauf gesponnen, bin aber am Überlegen, ob es vielleicht ein Flachsrad sein könnte? Auf diese Idee bringen mich Einzugsloch und Wocken; allerdings würde ich mir ein Flachsrad doch mit einer anderen Übersetzung vorstellen.

Im Anhang ein paar (sorry, Handy-) Fotos. Ja, die Antriebsschnur und die Flügelbremse sollen noch ausgetauscht werden, die Schnüre waren halt gerade zur Hand und es funktioniert so 8)
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Glaskocher
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Re: Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

Beitrag von Glaskocher » 16.05.2021, 10:13

Sehr viel zur Identifizierung kann ich nicht beitragen, aber... ein bisschen genauer hinsehen.

Den Typus "Bock" hast Du korrekt identifiziert. Das Einzugsloch ist senkrecht oberhalb der Schwungradachse.

Im mittleren Bild (Detail Spinnkopf) fallen mir zwei Dinge auf, die geändert oder genauer angesehen werden sollten. Das Garn scheint auf dem Weg von der Hohlwelle zum ersten Häkchen an der Kante der Spule zu schleifen. Da könnte ein weiteres Häkchen in einem der ersten Löcher auf dem Flügel Abhilfe schaffen, wenn das Garn zuerst da drüber und dann zum Häkchen, das den Wickelort bestimmt läuft. Dann fällt mir auf, daß der "vordere" Führungsstab für den Spinnkopf anders aussieht als der Hintere. Im Bild kann ich nicht genau erkennen, ob die Schräge in Richtung Flügel Absicht oder eine Beschädigung ist. Nach anfänglichem Zweifel vermute ich Absicht hinter der Form, um den Flügel bei tiefer Einstellung des Spinnkopfes besser vorbei zu lassen.

Auf dem unteren Bild fällt auf, daß zwei gedrechselte Delorelemente zu fehlen scheinen. Das ist zwar schade für die Optik, stört aber vermutlich nicht die Funktion. So nahe an der Achse ist die zu erwartende Unwucht nur gering.

Die Flügelbremse sieht kreativ aus. Wer spinnt darf auch aufwickeln... Oder: Wenn's funktioniert dann ist es brauchbar. Der "Bremsbelag" sieht schon etwas gealtert aus. Der könnte das nächste Teil sein, das ersetzt werden muß, aber erst dann, wenn die Risse zu weit gegangen sind oder die Feinjustierung zu fummelig ist.



Kleiner Tipp zur besseren Identifizierung: Schau bitte mal nach, ob von unten irgendwelche Beschriftungen oder andere Zeichen sichtbar sind. Die könnten, so Du welche findest, zur Identifizierung des Herstellers beitragen.

Bei der Holzart kann ich zwar einige ausschließen, aber nicht exakt bestimmen. Sehen kann ich, daß es ein recht homogenes Laubholz ist, das möglicherweise gebeizt wurde.

Mache doch bitte, für unsere Wartungsspezialisten, einige Detailaufnahmen von allen Lagern. Beschreibe auch mal, welche Lager Geräusche machen, um den aktuellen Wartungsbedarf erkennen zu können. Dann kannst Du auch Tipps zur korrekten Schmierung/Wartung der verschiedenen Lagertypen bekommen. Schließlich soll das Rad dir noch für lange Zeit uneingeschränkt gute Dienste leisten können.

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anjulele
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Re: Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

Beitrag von anjulele » 16.05.2021, 10:56

So ähnliche Spinnräder kenne ich aus dem Alpenraum, hier oben gibt es die nicht.
Typisch für ein Flachsrad (egal, welche Bauart) sind kleine Spulen und Einzugslöcher, oft sind noch Wocken dabei. Alte Flachsräder sind zweifädig und sind schnell, anders bekommt man Lang-Flachs nicht versponnen. Also schnell, auch beim Spinnen mit einer Spindel muss die flott laufen.

Dein Rad ist ein flügelgebremstes, das lässt sich nicht fein einstellen (nicht umsonst werden die oft als "Trecker" bezeichnet). Die bekommen selten viel Tempo, für Flachs reicht das in der Regel nicht, weil die Räder nicht schnell genug aufspulen.

Ich sehe gerade, dass Glaskocher dir schon geantwortet hat. Ihm sind ja auch Sachen aufgefallen, die nicht optimal sind, das spricht für mich eher für ein Deko-Spinnrad, die hat man sich schon immer gerne in die gute Stube gestellt.

Es gibt Räder mit solchen und ähnlichen Flügeln, allerdings schleift da nirgends der Faden irgendwo. Wäre das der Fall, würde man Schleifrillen vom Faden auf dem Flügel sehen können. Die Haken sind zum Verstellen. Hake doch mal den ersten ganz vorne ein und nimm nur den hinteren zum Verstellen, vielleicht läuft der Faden dann schon glatt zum Einzugskoch?
Die Räder, die ich (nur von Bildern) kenne, haben den (dünnen) Tritt nicht mittig, sondern an einer Seite.
Was ist das für ein Antriebsriemen? Kannst du den mit einem festen, dünneren Häkelgarn tauschen? Den am Rad brauchst du nicht zerschneiden, lass ihn nur auf dem Boden liegen.
Ich sehe überhaupt keine Gebrauchsspuren, mindestens der Tritt sollte sichtbar Abdrücke (Schatten) vom Fuss oder Schuh haben, das bleibt nicht aus, wenn ein Rad regelmäßig oder oft besponnen wird.

Für mich ist das ein Deko-Rad, das schön gearbeitet ist mit Verzierungen, aber nicht wirklich zum Spinnen geeignet, weil es nicht optimal läuft. Man kann einige Deko-Räder mit kleinen Änderungen zum Spinnen bringen, aber meist laufen die dann nicht optimal. Und das finde ich einfach wichtig.

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Re: Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

Beitrag von moniaqua » 16.05.2021, 17:35

Hallo Ihr beiden,

erst einmal Dank für Eure ausführlichen Antworten.

@anjulele, Alpenraum dürfte hinkommen; die Tante, die das Rad schenkte, war aus der Schweiz, das Rad selber scheint aber aus Bayern zu stammen, dazu unten mehr.

Dekorad möchte ich aufgrund der Geschichte des Rades ausschließen. Besagte Tante war der Meinung, eine Frau ohne (funktionierendes) Spinnrad sei keine gute Ehefrau und entsprechend war ihr Hochzeitsgeschenk... ;) Auch funktioniert mir das Rad für ein Dekorad zu gut, ohne dass ich viel Arbeit investiert hätte.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Das Garn scheint auf dem Weg von der Hohlwelle zum ersten Häkchen an der Kante der Spule zu schleifen. Da könnte ein weiteres Häkchen in einem der ersten Löcher auf dem Flügel Abhilfe schaffen, wenn das Garn zuerst da drüber und dann zum Häkchen, das den Wickelort bestimmt läuft.
Ja, das ist geplant. Ich überlege noch, wie ich es letztlich mache; ich vermute, ich ersetze die vorhandenen Häkchen.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Im Bild kann ich nicht genau erkennen, ob die Schräge in Richtung Flügel Absicht oder eine Beschädigung ist.
Die schaut so aus, als wäre sie absichtlich da, sie ist genauso wie die anderen Holzteile lackiert.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Die Flügelbremse sieht kreativ aus.
Ähmja :O Das wird noch verbessert, versprochen :) Da ich bei meinen bisherigen Versuchen die Bremse eh tunlichst komplett offen hatte, dürfte das mit dem Belag auch nicht wirklich dringlich sein. Wobei - hmm, das muss ich mir nochmal überlegen.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Kleiner Tipp zur besseren Identifizierung: Schau bitte mal nach, ob von unten irgendwelche Beschriftungen oder andere Zeichen sichtbar sind. Die könnten, so Du welche findest, zur Identifizierung des Herstellers beitragen.
Der Tip war heiß :gut: Der Stempel auf dem Rad ist zwar unleserlich, aber der auf der zugehörigen Haspel schaut gleich aus, ist lesbar und besagt "Drechslerei Gustav Morgen, Mühldorf am Inn". Soweit ich mich erinnere, hatte die Tante das auch in der Region bei uns in Auftrag gegeben.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Bei der Holzart kann ich zwar einige ausschließen, aber nicht exakt bestimmen. Sehen kann ich, daß es ein recht homogenes Laubholz ist, das möglicherweise gebeizt wurde.
Da kann ich bei Gelegenheit mal Papa fragen, der sollte es wissen/erkennen können.
Glaskocher hat geschrieben:
16.05.2021, 10:13
Mache doch bitte, für unsere Wartungsspezialisten, einige Detailaufnahmen von allen Lagern.
Reiche ich bei Gelegenheit gerne nach. Das muss ich mit der richtigen Kamera machen, Handyfoto bringt hier nichts. Das Rad läuft auch recht leise, seit es einen Klecks Vaseline (Tip hier im Forum gefunden) bekommen hat. Am Knecht ist wohl ein Lederlager. Die Spulen scheinen mit Filz eingelegt zu sein.
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Die bekommen selten viel Tempo, für Flachs reicht das in der Regel nicht, weil die Räder nicht schnell genug aufspulen.
Dann hat mich der Wocken vielleicht auf die falsche Spur geführt. 🤔
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Ihm sind ja auch Sachen aufgefallen, die nicht optimal sind, das spricht für mich eher für ein Deko-Spinnrad, die hat man sich schon immer gerne in die gute Stube gestellt.
Es sind mit Sicherheit Sachen nicht optimal an dem Rad, ich schiebe das aber auf andere Gründe. Deko-Rad schließe ich aus, einfach deswegen, weil meine Eltern das Rad explizit zum Spinnen geschenkt bekamen.
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Die Haken sind zum Verstellen. Hake doch mal den ersten ganz vorne ein und nimm nur den hinteren zum Verstellen, vielleicht läuft der Faden dann schon glatt zum Einzugskoch?
Keine Chance, die zu verstellen, ich fotografiere die mit den Lagern dann gleich mit, dann siehst Du, warum. Bzw. ob ich einfach nur zu unwissend bin, aber ich habe sie nicht losbekommen.
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Was ist das für ein Antriebsriemen?
Packschnur, die war da. Das war die pragmatische Lösung. Sie ist mir etwas zu dünn. Geplant ist, entsprechend dem, was auf dem Rad war, eine Hanfschnur zu spinnen (auf der Fantasia ;) ), Hanf habe ich hier. Die "originale"Hanfschnur war leider gebrochen.
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Ich sehe überhaupt keine Gebrauchsspuren, mindestens der Tritt sollte sichtbar Abdrücke (Schatten) vom Fuss oder Schuh haben, das bleibt nicht aus, wenn ein Rad regelmäßig oder oft besponnen wird.
Das Rad wurde nicht besponnen, zumindest nicht oft bzw. regelmäßig :lol: Die Beschenkte, aka Mama, fand das Rad schön, probierte auch mal aus, darauf zu spinnen und entschied für sich, dass ihr Stricken einfach besser gefalle, zumal es zu ihren Lebzeiten wirklich schwierig war, an Rohwolle oder gar Kardenband/Kammzüge zu kommen. Insofern war es faktisch die letzten Jahrzehnte tatsächlich ein Dekorad, wenn auch nicht als solches geplant und m.E. wirklich zu gut funktionierend dafür.

Ich bin wahrlich nicht der Spinn-Crack, aber ich habe es relativ schnell hinbekommen, darauf einen verstrickbaren Faden zu spinnen, der mich ziemlich an die im Alpenland gebräuchlichen Strickwesten erinnert (nur nicht so kratzig da andere Wolle :) ) Es ist der Faden, der auf der Spule ist und besser bekomme ich das auf dem Fanasia auch nicht hin, ehrlich.
anjulele hat geschrieben:
16.05.2021, 10:56
Man kann einige Deko-Räder mit kleinen Änderungen zum Spinnen bringen, aber meist laufen die dann nicht optimal. Und das finde ich einfach wichtig.
Das ist denke ich auch eine Frage der Ansprüche. Ich habe mit dem Rad garantiert nicht die Möglichkeiten, die ich mit dem Fantasia habe und so schnell wie mit dem Fantasia bin ich damit auch nicht. Aber so als Showrad, um die Leute neugierig zu bekommen, stelle ich es mir nett vor, es ist einfach hübscher. Ich sehe das auch ein bisschen als Herausforderung. Es ist vergleichsweise leicht, mit einem Rad mit allen Schikanen ein gutes Ergebnis hinzubekommen.

Sich auf ein Rad einzulassen, ist eine andere Geschichte. Früher hatte man nicht diese eierlegenden Wollmilchsäue von heute. Es gab Räder für Flachs, es gab Räder für Wolle. Das was sie machen sollten, machten sie, manche gut, manche nicht so gut und manche wurden als Dekoräder geboren :)

Für produktives Spinnen habe ich das Fantasia. Für alles andere Spindeln und den Bock (den ich mehr als Diva empfinde). Wobei die Spindeln nicht wirklich unproduktiv sind, nur langsamer.
Servus,
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Re: Altes Spinnrad (Bock?), Hilfe zur Identifikation erbeten

Beitrag von shorty » 16.05.2021, 17:50

Denke mal das bekommste schon hin, ich halte es übrigens für kein Flachsrad, und hätte es gen Niederbayern verortet, wegen dem Kasten unten
War dann gar nicht soo falsch..
Nicht alte älteren Räder mit zierlichem Flügel waren Flachsräder, das Spinnrad dass meine Mutter von ihrer Mutter geerbt hat ist definitiv als Wollrad gemacht, aber dennoch sehr zierlich.
Auch dieses hat eine Flügelbremse. ( diese Bauarten sind übrigens viel filigraner einzustellen wie die Holland Trecker, wenn auch recht langsam )
Grade für den Alpenraum kann man nicht unbedingt von Flachsrädern ausgehen, der wurde hier teils überhaupt nicht angebaut.
Für Bauersfrauen war Wolle teils viel einfacher zu beschaffen und aufzuarbeiten.

Auch wenn alte Räder bespinnen absolut nicht meins ist honoriere ich doch, wenn sich jemand ranwagt
Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen.

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