Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Allgemeines zum Thema Spinnen (Spinnfasertypen, geschichtliches, ...)

Moderator: Claudi

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Glaskocher
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Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Glaskocher » 04.11.2019, 20:43

Hallo Freunde des feinen Garns!

In letzter Zeit beschäftige ich mich mit der Brennnessel. Die Fasern lassen sich halbwegs brauchbar extrahieren und ich bekomme "Strähnchen" von ca. Fingerdicke und 20-40cm Faserlänge. Zum Spinnen nehme ich eines davon und spinne an Fasern des dünnen Endes (=längste Fasern) an. Während der Arbeit habe ich meine Mühe, das Strähnchen ordentlich zu halten, wenn die aktuell gezogenen Fasern zum Teil ihre Nachbarn mitziehen. Da muß ich immer wieder das Strähnchen lang ziehen und die "Buckel" herausmanövrieren. Je weiter ich das Material verbraucht habe, desto kürzere Fasern kommen ins Garn. Zum Schluß sind oft nur noch 10cm und Kürzeres übrig, womit sich ein feiner Faden nicht mehr ordentlich spinnen läßt. Die lege ich dann zur Seite, für ein etwas gröberes Garn aus den längeren Werg-Fraktionen der Aufarbeitung.

Da ich mein Spinnzeug oft im Zug aus dem Beutel hole ist mir ein Rocken auch etwas zu unhandlich. Außerden (glaube ich...) braucht man zur Arbeit damit lieber Rohfasern, die alle gleich lang sind und an einem ähnlichen Punkt aufhören, wie bei Flachsbunden. Die Brennnesselfasern scheinen auch etwas "hakeliger" zu sein als Langflachs, den ich nur von Sehen kenne.

Gibt es irgendwie Erfahrung damit, oder beim Flachs-Spinnen der verschiedenen Werg-Qualitäten, wenn sie auch gehechelt worden sind?

Im Voraus vielen Dank
Euer Glaskocher

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Venus von Willendorf
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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Venus von Willendorf » 05.11.2019, 08:57

Versuch es doch einmal mit einer Fingerkunkel oder Handrocken, das sollte Dir helfen und ist um einiges kleiner als ein normaler Rocken und leicht in einem Beutel verstaut und die Fasern sind dort ordentlich gehalten.
Beste liebe Grüße
Michaela

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Tulipan » 05.11.2019, 18:37

Ich fürchte, du hast den Grund für die Entwicklung des Rockens entdeckt.
Eine Fingerkunkel ist für 40 cm lange Fasern zu kurz. In Bette Hochbergs Buch "Handspinnen" finden sich 2 Abbildungen von Handrocken, die funktionieren könnten. Der eine ist T- förmig, wobei der obere Balken ein Kamm mit nach oben weisenden Zähnen ist, über den die Fasern gehängt werden. Der andere ist ein Stab mit einem langen senkrechten Schlitz, in den die Fasern geklemmt werden. Sieht ungefähr aus wie eine Stimmgabel. Erfahrungen habe ich aber nicht damit. Bin gespannt, ob du eine Lösung findest.

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Glaskocher » 17.11.2019, 16:13

Wie sieht es denn mit Bündeln von recht unterschiedlicher Faserlänge aus? Ich verstehe es so, daß ich die Kunkel an der Faserhand (meiner Linken) trage und dann die Fasern mit der Rechten ausziehe, während die Linke die Menge reguliert. Da das Bündel am Anfang fast doppelt so lang ist, wie zum Schluß (bei meiner bisherigen Technik) müßte die Kunkel ja zwischendurch kürzer werden, um die unteren Enden der Fasern (wieder) erreichen zu können. Beim Rocken, der separat gehaltert ist, könnte ich ja dem kürzer werdenden Bündel hinterher greifen und einfach etwas höher arbeiten.

Dann muß ich mir mal zeigen lassen, welche Methode zur Befestigung des Bündels an Rocken oder Kunkel sich für meine Fasern eignet. Beim Flachs wird ja das Material erst breit gefächert und dann (mehr oder weniger) lose am Rocken fest gebunden und weiter unten nochmal etwas loser umwickelt. Die Fasern im Bündel sind allerdings nahezu gleichlang, was das Ganze deutlich einfacher macht.

Ich überlege, ob ich mir einen Rocken mache, der oben einen Kamm hat, um die Fasern zu halten. Der müßte das Faserbündel fest genug halten, daß es nicht ausrutscht, aber die gezogene(n) Einzelfaser(n) durchlassen. Dann könnte ich regelmäßig kleine Bündelchen einhängen und hoffe, daß die ausgezogenen Fasern ihre Nachbarn nicht zu schlimm mitnehmen. Das führte bei mir oft zu Durcheinander im Handvorrat, den ich dann erst wieder glätten mußte.

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Glaskocher » 18.11.2019, 22:26

Jetzt habe ich die Idee mit dem Kamm mal getestet:
Ich hatte eine Strähne Nesselfasern geschabt und gekämmt. Dabei kam eine recht feine Faserqualität heraus, die ich zum Testen nutzte. Ich hatte den Kamm (billigen Plastikkamm mit feiner Zähnung) ca. 30cm über der Tischplatte an einer Stange befestigt, daß er parallel zur Tischkante stand.

Die Fasersträhne hängte ich mit dem dicken Ende (= Wurzelende) in den Kamm und begann unten eine gute Elle Vorgarn zu ziehen und in Z-Richtung zu verdrehen. Damit startete ich dann die Wicklung auf einer frischen Kreuzspindel (siehe Perläospindel) und konnte die erste "Länge" mit der Spindel im "Kopfstand" spinnen. Nach dem Aufwickeln ging der Kreuz-Wirtel nach unten und ich konnte den Rest recht gut von der Strähne abspinnen. Nur einmal bin ich mit den Faserdreieck beim Wickeln aus dem Vorrat "ausgerutscht" und mußte neu ansetzen. Nach einigen Längen konnte ich die "über-zwei-unter-eins-Wicklung" verlassen und einfach um die Achse aufspulen. Ich war erstaunt, wie oft ich von der recht kleinen Fasersträhne wickeln mußte. Im Kamm blieben nur sehr wenige kurze Fasern übrig und ich hatte auch recht wenige Knubbel von Kurzfasern (=Schlickerlingen?) im Garn.

Danach konnte ich die Fasern in Stil des Andenzwirnens um ein Taschenbuch mit Lineal in der Mitte abhaspeln und verzwirnen. Morgen kann ich das gezwirnte Garn mal wiegen und dann das Metergewicht errechnen. Von der Farbe her ist es ungefähr wie gerösteter Flachs und scheint eine brauchbare Festigkeit zu besitzen. Der gezwirnte Faden ist unter einem Millimeter im Durchnesser.



Jetzt fehlt mir nur noch eine Idee, wie ich dieses Prinziep transportabel mache, um es im Zug (sitzend) oder gar im Stehen oder Gehen nutzen zu können. Im Moment kann ich mein Provisorium nur an die Tischkante klemmen. Vermutlich werde ich die Stange noch etwas länger machen, um seltener wickeln zu müssen.

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Tulipan » 19.11.2019, 16:49

Das klingt ja schonmal vielversprechend. ich habe noch dies gefunden, so eine Rolle kann man einfach in der Tasche lassen.
Bei Kreuzspindeln ist die 2 über 1 unter Technik zwar hübsch, aber überflüssig. Traditionell wird einfach schräg gewickelt. Und wenn man vorher den Anfangsfaden durch das Loch im Kreuz fädelt, wird er beim Zerlegen den Spindel mit rausgezogen und man kann einfach vom Knäuel zwirnen, ohne umwickeln zu müssen. Es macht nichts, wenn der Anfangsfaden überwickelt wird, die Kreuzarme ziehen ihn auf jeden Fall mit raus. Eine weitere Möglichkeit wird in diesem Video ab Minute 17 gezeigt, dann muss man aber darauf achten, dass der Faden draussen bleibt.

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Glaskocher » 19.11.2019, 21:23

Danke für den Tipp mit der Tuchrolle, das werde ich demnächst mal testen. In diesem Fall lege ich dle "Strähnchen" mit dem gleichmäßigeren Wurzelende nach "Vorne" und kann dann in der von Alters her empfohlenen Richtung für Flachs (Wurzel zu Blüte) spinnen. Die Fasern sind zwar nicht allzusehr unterschiedlich zwischen den Enden, aber... Die Videos sehe ich mir demnächst auch mal an, um zu sehen, wie es "dort" gemacht wird.


Jetzt liefere ich noch die Daten zum gezwirnten Garn nach: 3,76 Meter wiegen 0,628g oder mit anderen Worten sind das knapp 6m/g oder 0,167g/m. Der Single war also deutlich über zwölf Meter je Gramm. Mit etwas Übung sollte ich auch noch etwas feiner werden können, aber das Rohmaterial muß dann auch "mitspielen".

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Re: Langfasern ohne Rocken mit Handspindel spinnen

Beitrag von Glaskocher » 22.01.2020, 22:31

Jetzt habe ich mal beide Varianten (Kamm auf Stativ und Tuchrolle) getestet.

Kamm auf Stativ:
Die Fasern wurden mit dem Wurzelende (=einheitlicherer Faserbeginn in der Strähne) in die Zinken des Kamms eingehängt. Sie lassen sich recht leicht ausziehen und es gab kaum Verwirrung durch "Mitgezogenes". Allerdings ist man mit der Handspindel auf ein sehr kleines Raumgebiet festgelegt, in dem man arbeiten kann. Da das Stativ den Kamm direkt über der Tischklante hält ist die Drehung der Spindel im oberen Drittel der spinnlänge behindert, wenn man gut ausziehen kann. Insgesamt läßt sich die Fadenstärke hier besser regulieren.

Tuchrolle:
Die Strähne liegt mit dem Blütenende im Tuch, was die Ziehrichtung gegenüber dem Kamm umkehrt. Der größte Teil der Strähne liegt innerhalb des Tuches (Flanellstoff) und ca. 5cm schauen heraus. Es sind immer recht viele Fasern an der Auszugstelle, was prinzipiell eine bessere Mischung von längeren und kürzeren Fasern im Auszug erlaubt. Real kommen aber tendenziell die Längeren eher dran. Das bringt gerade bei einer frisch eingelegten Strähne das Problem, daß man Fasern am Anfang hat, die aus verschiedenen Zonen der Strähne kommen, und deshalb recht schwer auszuziehen sind. Mit etwas mehr Kraft und geduldigen Zurückstreichen des Überschußes bleibt der Faden an dieser Stelle halbwegs im gewohnten Maß, obwohl er rasch zu dünn oder zu dick wird. Während des Spinnens verwirren sich die Fasern im Tuch etwas, aber werden dadurch nicht unspinnbar. Oft rutscht ein Rest der Strähne komplett aus dem Tuch, bevor sie zuende gesponnen ist. Diesen Rest spinne ich meistens ohne Tuch aus der Hand, wobei anfangs noch das "Mitziehen" etwas stört, aber sich bald legt.

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