"Eisenschwein" gerockt

Damit alle Handarbeitsgeräte richtig funktionieren ...

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"Eisenschwein" gerockt

Beitrag von wollwolff » 25.07.2016, 17:59

Hallo Ihr Lieben,
auch und gerade spartanische Technik ist hier Zeitzeuge einer rohstoffarmen Konstruktionsszeit nach dem letzten Krieg.
"Auferstanden" aus Ruinen im warsten Sinne.

Meine momentane Aufgabe:
Soweit original aufhübschen und instandsetzen, das ein schöner Einklang mit Design und Funktion entsteht.

Ich habe das Rädchen erst einmal zerlegt. Da zeigt sich schon das Jahrzehnt des Mangels. So ist der Spulensatz riemenseitig aus Alu gegossen- allerdings
in Kokollien, die zwar handwerkliches Können aufzeigen, aber nicht die heutige normale Industriequalität. Wir erkennen lunkerreichen Abguss des Aluminiums,
entstanden durch gasende Einschlüsse, vermutlich durch Schrotteinschmelzungen. Auch ist die Kokillenschalen- Passung unpräzise.

Trotzdem Hochachtung zum erreichten damaligen Ziel- eine Spinnradserie aufzulegen und zu entwickeln.
Ich bin geschichtlich noch nicht so tief eingetaucht, finde aber elementare Breco - Elemente.

Wie gehe ich es an? Erst reinigen und den Flugrost entfernen. Unten in die Schrägfüsse, mit Schubbergrat zum Fussbodenbeschädigen, mit Buchenholz
füllen, um hier 2 Gummipuffer zu gründen. Dann als ersten kosmetischen Schritt die braune Pattina mit Leinölfirnis hauchdünn benetzt. Bei dem sehr warmen Wetter
erreichte ich in 2 Tagen mit Sonneneinbrennung einen schönen klaren grifffesten Überzug.

Das Schwungrad ist solide ausgebuchst und hat eine Ölbohrung in der Nabe. Auch hier ein Kokillenabguss in Zink. Das Gewicht des Speichenrades und die
versetzten Kokillennähte mit Einfallkratern und Lunkern erklären wiederrum den Entstehungszeitpunkt.

Die 3 Spulen, der M6 Gewinde- Wirtel mit der Spinnwelle hatten alle einen Spulenkern aus Messingrohr. Die 2. Spulenseite besass eine Spulenscheibe aus 0,5 mm
Eisenblech, welches mit einem radialem Well-Profil und schrägen Kantensaum in der DRÜCKTECHNIK entstanden ist.
....Drücktechnik ist heute noch in der Lampenindustrie zuhause, da wird in einer Drück- oder Drehbank um ein Kernprofil aus Metall oder Holz mit einer Art
Finger aus Metall, Holz, Öl, das Metallplätchen rel. einfach materialsparend in Form gebracht.

Dieses Metallrad hat einen u- förmigen Blechständer mit 3 Dornen zum Zwirnen. Auch besitzt es einen Spann-Dorn, mit einer Steckspule, die von mir noch im Spinnmaul
zentriert mobil befestigt werden muss.

Seht hier den ersten Teil der "Rockererei".
bre2.jpg
Bre1.jpg
LG von Jürgen ^..^
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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von lisel » 26.07.2016, 08:33

Das Staunen ist der
Anfang der Erkenntnis

Klingt spannend und ich freu mich da mal auf die Fortsetzung.

Ein Bild vom Zustand bei Anlieferung/Erwerb wäre nett, damit man besser sieht wie ein „Schrotthaufen“ sich wieder in ein Spinnrad verwandelt.
Daran habe ich bei diesem Autor aber wieso keinen Zweifel.

Mit freundlichen Grüßen aus Dresden
Technik der Lisel
Viele Grüße von Lisel :wink:

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von wollwolff » 27.07.2016, 07:52

Hallo Ihr Lieben,
nun ist fertig.

alles zusammengebaut, geputzt, nachgefertigt und repariert.

Bemerkenswert ist das Schlingfedersystem des Schiebehakens: Das Garn wird nach dem festen Haken am Flügelknie über die Schlingfeder gelegt. Der Haken ist etwas
aus dem Schwerpunkt und zieht sich beim Anlauf fest. Verstellt wir er einfach, indem er gegen die Uhr gedreht und axial verschoben wird.

Da am Knecht bereits am Rad original ein Winkelgelenk verbaut wurde, war ich nicht bange, diese patente Lösung auch für das Trittlager (vorher Scharnierblatt) zu verwenden, läuft 1a!

Der Dorn für die Wickelspule war mit M10 in das Spinnmaul eingedreht und nach x- gefüllten Spulen durch Wechsel- Kerbwirkung auch promt abgebrochen. Auch
war das M10 Gewinde im Spinnloch nicht gerade garnschonend, da die Fasern immer über einen "Sägekamm" gezogen wurden.

Hier habe ich alles ausgebohrt und das Spreizdorm mit einem Stahlzapfen aufgerüstet. Dieser wird nun einfach in das glatte Spinnloch gesteckt und durch das Querloch mit der Rändelschraube eingespannt.

Übrigens sind die mechanischen Stahlteile vom Spinnkopf und der Spreizdorn von hervorragender Qualität in Material und Ausführung.

Es ist angedacht, dass der Spreizdorn Papphülsen für Webschiffchen bewickeln soll.

Seht selbst!
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LG von Jürgen ^..^
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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von lisel » 27.07.2016, 08:14

Ist super geworden. Einfach schick das Teil und auch nicht überrestauriert ! :gut:
Wie gewohnt detaillierte Dokumentation zum Bau, Geschichte ...
Eine runde Sache.

Grüße aus Dresden
Technik der Lisel
Viele Grüße von Lisel :wink:

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von borekd » 28.07.2016, 08:29

Hallo Jürgen,

schön wieder etwas von Dir zu lesen, ein interessantes und auf dem gewohnt hohen handwerklichen Niveau durchgeführtes Projekt.

Eine Frage/Bitte habe ich noch:
wollwolff hat geschrieben:...Bemerkenswert ist das Schlingfedersystem des Schiebehakens: Das Garn wird nach dem festen Haken am Flügelknie über die Schlingfeder gelegt. Der Haken ist etwas
aus dem Schwerpunkt und zieht sich beim Anlauf fest. Verstellt wir er einfach, indem er gegen die Uhr gedreht und axial verschoben wird. ...
Das habe ich nicht ganz verstanden, und das Detailfoto dazu ist etwas unscharf. Kannst Du das bitte noch einmal im Detail zeigen?

Gruß
Borek

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von wollwolff » 28.07.2016, 15:12

Hallo Borek!

Versuchsaufbau zum Verstehen:

Schiebe einmal eine z.B. innen 6mm Durchmesser- Druckfeder auf eine 6mm Stahlwelle.

Nur axial schieben geht schwer, links gedreht beim Schieben blockt, rechtsgedreht beim Schieben geht angenem leicht = Schlingfederprinzip.




LG von Jürgen ^..^

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von borekd » 29.07.2016, 07:36

Danke, jetzt habe ich es verstanden.

Gruß
Borek

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von Morticia » 29.07.2016, 09:41

Die hast du aber sehr fein wieder hingekriegt. Das Teil sieht klasse aus. So minimalistisch :-)

Kopfschmerzen kriege ich allerdings immer, wenn ich die mit (mir unbekannten) Fachausdrücken gespickte Beschreibung deiner Arbeitsweise lese - erinnert mich fatal an den Physikunterricht :O
Mischief managed...

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Re: "Eisenschwein" gerockt

Beitrag von shorty » 29.07.2016, 10:17

prima geworden
Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen.

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