Ringspinnverfahren- mein Verstehen

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Moderator: Claudi

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wollwolff
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Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von wollwolff » 23.04.2011, 13:46

Hallo Ihr Lieben,

ich durfte schon oft in Museen arbeitende Ringspinnköpfe beobachten. Da ich das warscheinlich im speziellen Blickwinkel sehe, möchte ich hier meinen Eindruck zur Funktion dieses Maschinenelementes aufschreiben.

Der Ringspinnkopf hat vor der Achsmitte in Entfernung ein Führungsauge, wo Vorgarn eingezogen wird. Dieses Vorgarn
sitzt schon auf Spulen und kommt aus der Krempellinie ( Kardieren, richten, auseinanderziehen, um die Längsachse gefaltet, und das alles zigmal) und hat schon mal eine gewisse Festigkeit.

Auf der Achsmitte ist der einseitig eingespannte, gelagerte und angetriebene massig-steife Spinndorn. Dieser Spinndorn
ist angetrieben und oszilliert in Achsrichtung vor und zurück ( füllte dadurch die Spule auf dem Spinndorn gleichmäßig).

Nun kommt der eigendlich geheimnisvolle Teil! Der Spinndorn ragt durch ein rundes Fenster, welches eine kreisrunden
Bund im Querschnitt ein Omegaprofil ( O mit 2 Füßen nach re/li). Dieses Profil ist exakt rund und poliert aus Stahl.
Hierauf sitzt, nenne ich ihn einfach mal "Satellitenhaken (SH)". SH ist ein Kreisring aus Art Elfenbein ( leicht,gleitaktiv und etwas elastisch) und einseitig mit ca 120 ° aufgeschnitten. Dieses C-förmige SH Element wird nun auf den Bund mit dem Omegaprofil gedrückt, wo er dann unverlierbar aufschnappt. SH hat eine Öse und kann nun leicht auf dem Ringwulst um das Fenster, ergo um den Spinndorn kreisen.
Das Vorgarn aus der Einführungsöse geht nun knickbildend durch den SH und wird am Spinndorn(Spulenkörper darauf)
befestigt.
Wird nun der Spinndorn in Drehung versetzt, will der SH immer mit in die Runde, da er quasi dem bequemsten Weg folgt, dem Widerstand ausweichend, dem Fadenzug nachläuft.
Nur gesponnen wird nun noch nicht. Wenn aber die Drehzahl ansteigt, wird die Reibungskraft ( SH am Bund)durch die Fliehkraftkomponente ( Spannkraft im Fadenknick zwischen Öse und Spule) geändert / fast aufgehoben, je nach Drehzahl) und mit einer Microbremskraft kommt unsere benötigte Drehzahldifferenz
D..Spindel > d..SH
zum Spinneffekt zustande.

Das war's schon! Mehr Geheimnis gibt es nicht.
Klar, maschinenbautechnisch schon, nur um Drehzahlregelung und Fertigungsqualität, Toleranzenarmut kümmert sich der versierte Ingenieur, das wäre ein anderes Thema.

Gruß und schöne Ostern, ;0)
Euer Jürgen

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von Wollspatz » 23.04.2011, 18:36

Wenn ich so eine Maschine nicht schon live gesehen hätte, hätte ich jetzt kein Wort verstanden.
Auf jeden Fall eine interessante Beschreibung . Hast Du für die technisch nicht so versierten ein
Foto dieser Maschine?

Frohe Ostern

Katharina
............vergiß das Träumen nicht.

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von kaha » 24.04.2011, 11:15

Hallo, Jürgen!
wollwolff hat geschrieben: Nur gesponnen wird nun noch nicht. Wenn aber die Drehzahl ansteigt, wird die Reibungskraft ( SH am Bund)durch die Fliehkraftkomponente ( Spannkraft im Fadenknick zwischen Öse und Spule) geändert / fast aufgehoben, je nach Drehzahl) und mit einer Microbremskraft kommt unsere benötigte Drehzahldifferenz
D..Spindel > d..SH
zum Spinneffekt zustande.
Was meinst Du mit Mikrobremskraft? Die Abbremsung durch die letzlich noch vorhandene Reibung?
(Da habe ich ein Patent gefunden, das genau diese Reibung zu minimieren versucht - Materialersparnis und Fadenqualität sind Argumente.)

In dem Link hier
http://compactspinning.in/functions-of- ... chine.html
ist geschrieben:
"The difference in speed between spindle and traveler causes the yarn to wind on the package. The increase or a decrease in twist is mainly a result of a change in the speed of the delivery roller."
Der erste Satz ginge noch völlig konform mit Deinen Ausführungen, aber beim zweiten dann nicht mehr - wenn ich Dich richtig verstanden habe, nämlich so, dass die Geschwindigkeitsdifferenz Deiner Meinung nach duch jene Mikrobremskraft bestimmt wird, nicht durch das Zurückhalten bzw. Liefern der Faser.

Schönen Ostergruß,
Katharina

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von wollwolff » 24.04.2011, 13:53

Hallo,
was ich meine ist, wenn Spindel-Stand vorliegt, herrscht am Knickpunkt SH eine Reibkraft von ca 10 g, die als Normalkraft mit dem Haftreibungskoeffizienten auf die Reibfläche (SH zu Ringführung) wirkt, also z.B.bei Yo = 0,15 entsprechend
10 x 0,15 = 1,5 g. Just in dem Fall der einsetzenden Drehbewegung wirkt bei SH der Gleitreibungskoeffizient Y1, also bei Y1 = 0,10 entsprechend 10 x 0.1 = 1 g. Nimmt die Bewegung Fortschritte und SH kreist eifrig, setzt die Fliehkraft von SH und dem Garnstück mit der Masse zwischen Öse, SH und Spindel ein. Die Fliehkraft ist ein Produkt aus Massepunkt
( gemeinschaftliches Gewicht von SH plus Garnstück), Winkelgeschwindigkeit ( Drehzahl) und Radius ( SH-Öse zu Spindelachse.) Die Fliehkraft ist also ein zunehmender Wert, welcher nach meiner Betrachtung der Reibkraft aus der reinen Fadenspannkraft entgegensteht. Natürlich entsteht ein zusätzlicher Zug in der Garnstrecke der Drallbildung, weil hierdurch schliesslich die rotierende Mechanik um SH angetrieben wird.

Ich habe mal eine Skizze gemacht, wenn ich die hier einstellen kann, müßte dieser Bericht eigentlich besser verstanden werden.
Ringspinnfunktion.pdf
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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von Klara » 25.04.2011, 13:12

Ich versteh' auch nur Bahnhof (weiss jetzt aber, wo ich nachschauen kann, wenn ich's wirklich wissen muss - also danke!), aber ich glaube, der entscheidende Satz in Jürgens erstem Beitrag für unser Problem - wie kriege ich perfektes Garn? - ist sowieso der hier:
wollwolff hat geschrieben:Dieses Vorgarn
sitzt schon auf Spulen und kommt aus der Krempellinie ( Kardieren, richten, auseinanderziehen, um die Längsachse gefaltet, und das alles zigmal) ...
(Hervorhebung von mir)

Das läuft nämlich wieder raus auf: Nur perfekte Vorbereitung ergibt perfektes Garn (vorausgesetzt, man versaut's dann nicht beim Spinnen).

Ciao, Klara

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von kaha » 03.05.2011, 17:41

Tada: Es gab bei Amazon günstig "Streichgarnspinnerei" von Werner Oeser.
Behandelt auch die Ringspinnmaschine.
Der Trick ist, dass das Garn vom Cob (Spindel, wo's aufgewickelt wird) über die Spitze abgewickelt wird. Dadurch bekommt man dann grade wieder die Drehungen, drauf die fehlen.
Übrigens ist der Unterschied da weniger voll vs. leer, sondern Basis vs Spitze, da kegelförmig aufgewickelt wird (mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten).
Das mal so in Kürze und verschwommen.
Wenn ich das Kapitel noch ungefähr 20 Mal durchgelesen habe, geht's vllt auch genauer. ;)

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von thomas_f » 05.05.2011, 10:16

In der englischen Wikipedia heißt es s.v. Ring Spinning -- How it works:
The traveller and the spindle share the same axis but rotate at different speeds. The spindle is driven and the traveller drags behind, thus distributing the rotation between winding up on the spindle and twist into the yarn. The bobbin is fixed on the spindle. In ring frames, the different speed was achieved by drag caused by air resistance and friction (lubrication of the contact surface between the traveller and the ring was a necessity). Spindles could rotate at speeds up to 25000 rpm,[citation needed] this spins the yarn.
(Auf der Seite gibts unten rechts auch eine Abbildung mit numerierten Teilen.)

Ich verstehe das so, dass die Ringspinnerei einem flügelgebremsten Spinnkopf entspricht, bei dem die Flügelöse (Jürgens "Satellitenhaken") extrem gut geschmiert über den Ringwulst gleitet und das eigentliche Bremsen durch diese "Mikroreibung" plus (vor allem) den Luftwiderstand, der auf den Faden wirkt, passiert. 25.000 Umdrehungen pro Minute -- da kommt schon einiges an Fahrtwind zusammen. Abgesehen von der erforderlichen hohen Präzision der Einzelteile spielen Fusselfreiheit und Garn- und Luftfeuchtigkeit noch eine riesige Rolle. Wohl eher nichts für den Feld-, Wald- und Wiesen-Kellerbastler. ;) Bin mal gespannt, ob Jürgen in der Richtung aktiv wird... :)

Zwei nette Bilder gibts auch noch hier, von Mathematikern erstellt.

Klara, die Faservorbereitung einschließlich des Ausziehens beim Spinnen bestimmen hauptsächlich die Eigenschaften des Fadens. Was wir tun, heißt nicht umsonst Handspinnen, auch wo der Spinnkopf von Füßen oder elektrisch getrieben wird ;) Was die Ringspinnmaschine tut, würde uns nur dann etwas nützen, wenn wir das Ausziehen usw. in entsprechender Konstanz und Geschwindigkeit hinbekämen. Ich glaube, dass fürs Handspinnen die etwas fußgängerischen Geschwindigkeiten bis ca. 3500 UpM, die wir mit unseren spulengebremsten oder doppelfädigen Spinnköpfen erreichen, ausreichen dürften.

Beste Grüße -- Thomas

kaha
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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von kaha » 05.05.2011, 11:14

Also irgendwie habt ihr mich abgehängt bisschen.
Ich dachte, es ginge noch um das Problem des unterschiedlichen Dralls/Einzug bei größerem Spulendurchmesser.

Dass der Läufer (so heißt das Ding nämlich "in echt" ;) ) der Spindel überhaupt hinterherhinkt, finde ich jetzt unzweifelhaft.
Dazu beitragen tut nat. Luftwiderstand am Läufer selbst sowie der am Garnballon drüber (was wieder abhängig ist von der Position der Ringbank), sowie Reibung abhändig von der Fadenspannung, die wieder von der Ringbankposition abhängig ist.

Der Unterschied der Läuferdrehzahlen an Spitze (langsamer wg. größerer Fadenspannung*) und Basis wird durch das Abwickeln der Garne über die Spindelspitze ausgeglichen, ich zitiere mal (die Rechnung lass ich weg ;) ):

"Da das Streckwerk in der Zeiteinheit immer die gleiche Garnlänge liefert und auch die Spindeldrehzahl n_spi konstant ist, gleichzeitig aber an den Kegelspitzen weniger Fadenlänge als an den Kegelfüßen aufgewunden wird, muss ein Ausgleich durch Änderung der Läuferdrehzahl geschaffen werden."
(Also auch die Dipl. Ings.s haben das Problem erkannt. ;) )

"Beim Abziehen des Garnes über die Kegelspitze gleichen sich aber diese Unterschiede im Draht (=Drehungen) aus, denn jede Garnwindung ergibt eine zusätzliche Drehung im Faden, so dass dann wieder die allgemeine Drehungsgleichung T/m=n_spi:L Gültigkeit hat.
(Dann folgt der Beweis anhand der Rechnung.)"

Also so im Fazit würde ich vorschlagen, die Lösung ohne Schlupf in einem Spindelrad zu suchen. :)



*Ein Zitat dazu: "Nimmt man an, dass die Tangentialkraft für Spitze und basis gleich ist, so ergibt das Kräfteparallelogramm nach Abb. 108 (kein Scanner, vllt gelint mir ein Bild, mal sehn) am Läufer für die Spitze eine bedeutend größere Fadenspannung F als an der Kegelbasis. Entsprechend erhält man auch eine größere Radialkraft R; durch sie wird der Läufer stärker an den Ring gepresst und durch die erhöhte Reibung stärker abgebremst (Schrägstellung des Läufers)."

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von thomas_f » 05.05.2011, 15:27

Ah ja, das war auch ein schönes Thema ;)

Einerseits hast du recht, ein Spindelrad braucht keinen Schlupf ;) Aber einen automatisierten Einzug hat es halt auch nicht. Der Drall entsteht ausschließlich und völlig konstant (bzw. immer im selben Verhältnis zur Trittfrequenz) während der Spinnphase, egal wie voll die Spindel ist; das Aufwickeln ist davon ja völlig unabhängig. Würdest du nun das Garn in axialer Richtung von der Spindel auf eine Spule abziehen, würdest du bei dünnem Garnpaketdurchmesser den Drall stark, bei dickem schwach verändern. In welche Richtung eigentlich? Wird der Drall dabei stärker oder schwächer?

Die Ringspinnvorrichtung ist ja nun aber eben kein Spindelrad mit strikt getrennter Spinn- und Wickelphase, sondern im tiefsten Innern seines Wesens ein flügelgebremstes Flügelrad. Sollte das Abziehen des Garns in axialer Richtung dann nicht auch den unterschiedlichen Drall eines schlupffreien doppelfädigen Rads ausgleichen können?

Aber wenn ich das nun richtig verstehe, ist beim Ringspinner die Bremse beim dünnen Garnpaket kräftiger angezogen als beim dicken und es gibt beim dünnen daher weniger Drall als beim dicken. Das wäre ja genau umgekehrt wie beim zweifädigen Rad mit festem Drehzahlverhältnis. Dann geht das wohl nicht mit dem axialen Abziehen. Oder wenn man den Faden zur anderen Seite abzieht???

Etwas(?) verwirrte Grüße -- Thomas

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von kaha » 09.05.2011, 11:45

Hab ich grade gefunden: Die Ringspinnmaschine für zuhause oder so. ;)
http://www.youtube.com/watch?v=OBGhxJGosrE&NR=1

(Antwort auf den Rest kommt auch noch irgendwann.)

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von thomas_f » 09.05.2011, 21:01

Wow, eine tolle Maschine. Und ein sehr schönes Video. Danke!

Beste Grüße -- Thomas

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Re: Ringspinnverfahren- mein Verstehen

Beitrag von kaha » 09.05.2011, 22:39

Bitte.
Und die sind richtig günstig, viel günstiger lt. diesem Link
http://www.hindu.com/2004/01/31/stories ... 842200.htm
als ein Spinnrad bei uns: 155,39 EUR.
Aber das Porto ist sicherlich unglaublich. ;)

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