Spinnradkauf – ein Leitfaden
Verfasst: 18.03.2015, 08:45
Ich habe die Tage mal ein wenig überlegt, wie man es denn Neuligen einfacher machen kann, die sich auf die Suche nach einem Spinnrad begeben und einen kleinen Leitfaden verfasst. Anregungen sind willkommen, ich möchte den Text dann in Bälde auch auf meinem Blog veröffentlichen.
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Teures Brennholz oder: Wie finde ich ein brauchbares Spinnrad
Zugegeben, ich habe auch den obligatorischen Internet-Spinnrad-Fehlkauf hinter mir. Der Rahmen des Rades war so verzogen, dass es einfach nicht mehr zu richten war. Ich habe dann brauchbare Teile ausgeschlachtet und den Rest dem Brennholz übergeben. In diesem Leitfaden geht es nur um Spinnräder die nicht von gängigen Herstellern erzeugt wurden.
Anzeigentexte
Sobald man aber etwas mehr Erfahrung mit der Materie Spinnrad gesammelt hat und einen Blick für das Wesentliche entwickelt, wird die Sache so richtig amüsant. Denn was da auf diversen Verkaufsplattformen im Internet alles als „Antiquität“, „Erbstück“, „Top“, „funktionstüchtig“ „Spitzenqualität“ etc. verkauft wird, ist teilweise mehr als erschütternd.
Äußerst beliebt sind auch Schlagworte wie „Nostalgie“, „sehr schön verziert“, „altertümlich“, „funktionsfähiges Dekostück“ (was jetzt?), „Kellerfund, Originalzustand“ (wollen wir das wirklich)?, „Handarbeit“, „selten, rar“, etc. Die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen. Verkäufer legen eine unglaubliche Kreativität an den Tag um ihre Artikel loszuwerden. Im Gegenzug schaffen sie es durch ihre Unwissenheit leider meistens nicht, das Spinnrad so zu beschreiben dass man als Käufer daraus schlau wird. Manchmal wird noch die Länge und Breite des Rades angegeben aber Dinge wie den Durchmesser des Schwungrades sucht man meist vergeblich.
Hier einmal ein paar Beispiele:
„Voll funktionsfähig/voll funktionstüchtig“: bedeutet soviel wie: es dreht sich was, wir wissen aber nicht genau was es bewirkt.
„Mit Spindel“ oder auch „Spindel fehlt“: In Ermangelung der richtigen Terminologie wird der Spinnflügel bzw. die Spule gerne als „Spindel“ bezeichnet. Räder mit Spindeldorn (sog. Great Wheels oder Walking Wheels) sind in den USA weiter verbreitet und auch dort auf entsprechenden Plattformen zu finden. Für neuere Räder, wie die von Ashford, kann man einen Spindeldorn nachrüsten wenn man diese Art des Spinnens betreiben will. Nur haben normale Flügelspinnräder keine Spindel im eigentlichen Sinn.
„Aus Erbschaft“ oder „aus Nachlass“: Das heisst es ist entweder ein Dekorad das nie zum Spinnen gedacht war (gerne aus DDR-Produktion) und aus einem Wohnzimmer Marke Gelsenkirchener Barock stammt, oder es sich um ein verstaubtes Etwas handelt, welches irgendwo ein tristes Dasein gefristet hat.
„Kellerfund/Dachbodenfund“: Meistens so dreckig dass man auf den Fotos Mühe hat, das Holz zu erkennen. Dazu sei gesagt dass weder Keller (oft zu feucht) noch Dachboden oder Schuppen (zu feucht, zu trocken, zu heiß im Sommer) ein guter Aufenthaltsort für ein Spinnrad sind. Holz ist eben ein lebendiger Stoff der in der entsprechenden Umgebung arbeitet und sich verzieht oder sich – bei alten, meist nicht geleimten sonder nur gesteckten Spinnrädern – durch Wärme und Trockenheit der Bauteile lockert und schlimmstenfalls auseinanderfällt. Meistens tun dann noch Holzwürmer oder Schimmel ihr übriges zur Zerstörung des Stückes.
Preisgestaltung
Viele Verkäufer meinen, nur weil etwas „alt“ oder von Oma geerbt ist, dann ist es automatisch auch wertvoll. Gerade bei Spinnrädern trifft das aber größtenteils nicht zu. Das hat mehrere Gründe. Erstens sind Spinnräder nicht „selten“ oder „rar“ wie gerne kolportiert, denn sie gehörten früher zum allgemeinen Haushaltsinventar, vor allem bei der ländlichen Bevölkerung. Diese Bevölkerungsschichten hatten meistens nicht das Einkommen, sich wertvolle oder verzierte Spinnräder zu leisten. Das Spinnrad war ein Werkzeug zum täglichen Gebrauch, wurde entweder vom Dorfschreiner oder sogar in Eigenregie gebaut und instand gehalten. Sieht man sich Spinnräder im Internet an, findet man bei den historischen Rädern viele gleichartige, aber wenige gleich gebaute. Nur vom Spinnradbau konnte selbst früher kein Drechsler/Schreiner leben. Zweitens sind die meisten Räder die verkauft werden in einem derart jämmerlichen Erhaltungszustand, dass man ein gewisses Preisniveau von vorneherein ausschließen kann. Verzierte Spinnräder, beispielsweise aus der Biedermeierzeit, sind eher in die Rubrik „Freizeitgestaltung junger Damen“ einzuordnen und meist so konstruiert, um feine Fäden zu spinnen und nicht um Menge zu erzeugen wie es für die ländliche Bevölkerung nötig war. Kleine Räder, sehr feine Einzugslöcher und kleine Spulen und Wocken weisen auf Flachsspinnerei hin. Wolle wurde auf solchen Räder wohl kaum verarbeitet.
Wie überall gibt es natürlich auch beim Spinnradkauf für den kleinen Geldbeutel Ausnahmen von der Regel. Ein paar Punkte sollte man beim Spinnradkauf über das Internet (und auch auf Flohmärkten) beachten (und auch je nachdem wie handwerklich begabt man selbst ist und wieviel Bastelarbeit man sich selbst zutraut), damit das Ganze dann nicht in Frust ausartet. Hat man die Möglichkeit das Rad zu besichtigen, so sollte man das unbedingt machen. Geht es nicht und der Verkäufer ist so kulant das Rad zu verschicken, dann können offene Fragen per Telefon oder E-Mail geklärt werden.
Ideal ist, wenn der Verkäufer bereit ist, größere Fotos von allen wichtigen Teilen zu schicken. So kann man sich ein besseres Bild vom Spinnrad machen.
Checkliste
Als Werkzeug/Teileliste bei Besichtigungen kann man einpacken:
– Zange/Multitool
– Paketschnur für den Antrieb
– Kontaktspray für rostige Stellen
– Seifenstück für Holzschrauben
– Fett
Bei der Besichtigung
Allgemeinzustand:
– Ist das Spinnrad komplett?
– Ist das Rad staubig/schmutzig/verdreckt?
– Wackelt es und hat es lose Teile?
– Wie trocken ist das Holz? Hat es Wasserflecken?
– Hat das Rad Wurmlöcher?
Komplett ist es meines Erachtens auch, wenn Antriebsfaden und/oder Knechtverbindung fehlen. Das sind Verschleißteile die meistens als erstes kaputt gehen oder sich auflösen. Auch Lederverbindungen und -lager brechen gerne durch unsachgemäße Lagerung und Austrocknung. Wichtig ist dass mindestens eine passende Spule vorhanden ist, besser drei (diese sind das Minimum um vernünftig arbeiten zu können). Hat man nur eine als Muster, kann man beim Drechsler seines Vertrauens Kopien anfertigen lassen.
Spinnkopf und Flügel:
– Ist der Spinnkopf komplett (Flügel, Spule, vordere und rückwärtige Flügelhalterung, „Mother of All“).
– Bei Hochzeitsrädern: Sind beide Flügel und Spulen vorhanden und komplett?
– Bei Häkchen: Sind die Häkchen rostig? Kann man sie austauschen?
– Lässt sich (bei zweifädigen Rädern, Bock und Ziege) die Stellschraube bewegen?
– Bei zweifädigen Rädern (Bock und Ziege): Ist der Wirtel vorhanden?
– Wieviele Rillen hat der Wirtel (Übersetzungen)? Ist der Wirtel ausgeschlagen?
– Wieviele Spulen sind vorhanden
– Sind die Spulen ausgeschlagen?
Einzug:
– Ist das Einzugsloch aus Holz oder Metall?
– Bei Holz: Ist es rauh?
– Bei Metall: Ist es rostig?
Schwungrad:
– Ist das Schwungrad an irgend einer Stelle gebrochen? Auf Verbindungsstellen achten!
– Ist das Schwungrad verzogen oder unwuchtig (kann meist nur durch Besichtigung genau festgestellt werden)
– Ist die Achse gerade oder verbogen?
Metallteile
– Ist an Metallteilen Rost/Flugrost vorhanden?
Sind diese Punkte geklärt und man mit dem Gesehenen zufrieden, dann steht einem Kauf nichts im Wege. Sind einige Dinge zu reparieren muss man sehen, wieweit man sich zutraut, diese Reparaturen durchzuführen. Kleinigkeiten wie Lederlager zu tauschen, Häkchen zu entrosten oder zu erneuern, das Rad zu reinigen und das Holz zu ölen sind für die meisten kein Problem. Sind Ersatzteile zu fertigen oder größere Holzarbeiten zu erledigen, sollte man sich vor dem Kauf darüber im Klaren sein.
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Teures Brennholz oder: Wie finde ich ein brauchbares Spinnrad
Zugegeben, ich habe auch den obligatorischen Internet-Spinnrad-Fehlkauf hinter mir. Der Rahmen des Rades war so verzogen, dass es einfach nicht mehr zu richten war. Ich habe dann brauchbare Teile ausgeschlachtet und den Rest dem Brennholz übergeben. In diesem Leitfaden geht es nur um Spinnräder die nicht von gängigen Herstellern erzeugt wurden.
Anzeigentexte
Sobald man aber etwas mehr Erfahrung mit der Materie Spinnrad gesammelt hat und einen Blick für das Wesentliche entwickelt, wird die Sache so richtig amüsant. Denn was da auf diversen Verkaufsplattformen im Internet alles als „Antiquität“, „Erbstück“, „Top“, „funktionstüchtig“ „Spitzenqualität“ etc. verkauft wird, ist teilweise mehr als erschütternd.
Äußerst beliebt sind auch Schlagworte wie „Nostalgie“, „sehr schön verziert“, „altertümlich“, „funktionsfähiges Dekostück“ (was jetzt?), „Kellerfund, Originalzustand“ (wollen wir das wirklich)?, „Handarbeit“, „selten, rar“, etc. Die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen. Verkäufer legen eine unglaubliche Kreativität an den Tag um ihre Artikel loszuwerden. Im Gegenzug schaffen sie es durch ihre Unwissenheit leider meistens nicht, das Spinnrad so zu beschreiben dass man als Käufer daraus schlau wird. Manchmal wird noch die Länge und Breite des Rades angegeben aber Dinge wie den Durchmesser des Schwungrades sucht man meist vergeblich.
Hier einmal ein paar Beispiele:
„Voll funktionsfähig/voll funktionstüchtig“: bedeutet soviel wie: es dreht sich was, wir wissen aber nicht genau was es bewirkt.
„Mit Spindel“ oder auch „Spindel fehlt“: In Ermangelung der richtigen Terminologie wird der Spinnflügel bzw. die Spule gerne als „Spindel“ bezeichnet. Räder mit Spindeldorn (sog. Great Wheels oder Walking Wheels) sind in den USA weiter verbreitet und auch dort auf entsprechenden Plattformen zu finden. Für neuere Räder, wie die von Ashford, kann man einen Spindeldorn nachrüsten wenn man diese Art des Spinnens betreiben will. Nur haben normale Flügelspinnräder keine Spindel im eigentlichen Sinn.
„Aus Erbschaft“ oder „aus Nachlass“: Das heisst es ist entweder ein Dekorad das nie zum Spinnen gedacht war (gerne aus DDR-Produktion) und aus einem Wohnzimmer Marke Gelsenkirchener Barock stammt, oder es sich um ein verstaubtes Etwas handelt, welches irgendwo ein tristes Dasein gefristet hat.
„Kellerfund/Dachbodenfund“: Meistens so dreckig dass man auf den Fotos Mühe hat, das Holz zu erkennen. Dazu sei gesagt dass weder Keller (oft zu feucht) noch Dachboden oder Schuppen (zu feucht, zu trocken, zu heiß im Sommer) ein guter Aufenthaltsort für ein Spinnrad sind. Holz ist eben ein lebendiger Stoff der in der entsprechenden Umgebung arbeitet und sich verzieht oder sich – bei alten, meist nicht geleimten sonder nur gesteckten Spinnrädern – durch Wärme und Trockenheit der Bauteile lockert und schlimmstenfalls auseinanderfällt. Meistens tun dann noch Holzwürmer oder Schimmel ihr übriges zur Zerstörung des Stückes.
Preisgestaltung
Viele Verkäufer meinen, nur weil etwas „alt“ oder von Oma geerbt ist, dann ist es automatisch auch wertvoll. Gerade bei Spinnrädern trifft das aber größtenteils nicht zu. Das hat mehrere Gründe. Erstens sind Spinnräder nicht „selten“ oder „rar“ wie gerne kolportiert, denn sie gehörten früher zum allgemeinen Haushaltsinventar, vor allem bei der ländlichen Bevölkerung. Diese Bevölkerungsschichten hatten meistens nicht das Einkommen, sich wertvolle oder verzierte Spinnräder zu leisten. Das Spinnrad war ein Werkzeug zum täglichen Gebrauch, wurde entweder vom Dorfschreiner oder sogar in Eigenregie gebaut und instand gehalten. Sieht man sich Spinnräder im Internet an, findet man bei den historischen Rädern viele gleichartige, aber wenige gleich gebaute. Nur vom Spinnradbau konnte selbst früher kein Drechsler/Schreiner leben. Zweitens sind die meisten Räder die verkauft werden in einem derart jämmerlichen Erhaltungszustand, dass man ein gewisses Preisniveau von vorneherein ausschließen kann. Verzierte Spinnräder, beispielsweise aus der Biedermeierzeit, sind eher in die Rubrik „Freizeitgestaltung junger Damen“ einzuordnen und meist so konstruiert, um feine Fäden zu spinnen und nicht um Menge zu erzeugen wie es für die ländliche Bevölkerung nötig war. Kleine Räder, sehr feine Einzugslöcher und kleine Spulen und Wocken weisen auf Flachsspinnerei hin. Wolle wurde auf solchen Räder wohl kaum verarbeitet.
Wie überall gibt es natürlich auch beim Spinnradkauf für den kleinen Geldbeutel Ausnahmen von der Regel. Ein paar Punkte sollte man beim Spinnradkauf über das Internet (und auch auf Flohmärkten) beachten (und auch je nachdem wie handwerklich begabt man selbst ist und wieviel Bastelarbeit man sich selbst zutraut), damit das Ganze dann nicht in Frust ausartet. Hat man die Möglichkeit das Rad zu besichtigen, so sollte man das unbedingt machen. Geht es nicht und der Verkäufer ist so kulant das Rad zu verschicken, dann können offene Fragen per Telefon oder E-Mail geklärt werden.
Ideal ist, wenn der Verkäufer bereit ist, größere Fotos von allen wichtigen Teilen zu schicken. So kann man sich ein besseres Bild vom Spinnrad machen.
Checkliste
Als Werkzeug/Teileliste bei Besichtigungen kann man einpacken:
– Zange/Multitool
– Paketschnur für den Antrieb
– Kontaktspray für rostige Stellen
– Seifenstück für Holzschrauben
– Fett
Bei der Besichtigung
Allgemeinzustand:
– Ist das Spinnrad komplett?
– Ist das Rad staubig/schmutzig/verdreckt?
– Wackelt es und hat es lose Teile?
– Wie trocken ist das Holz? Hat es Wasserflecken?
– Hat das Rad Wurmlöcher?
Komplett ist es meines Erachtens auch, wenn Antriebsfaden und/oder Knechtverbindung fehlen. Das sind Verschleißteile die meistens als erstes kaputt gehen oder sich auflösen. Auch Lederverbindungen und -lager brechen gerne durch unsachgemäße Lagerung und Austrocknung. Wichtig ist dass mindestens eine passende Spule vorhanden ist, besser drei (diese sind das Minimum um vernünftig arbeiten zu können). Hat man nur eine als Muster, kann man beim Drechsler seines Vertrauens Kopien anfertigen lassen.
Spinnkopf und Flügel:
– Ist der Spinnkopf komplett (Flügel, Spule, vordere und rückwärtige Flügelhalterung, „Mother of All“).
– Bei Hochzeitsrädern: Sind beide Flügel und Spulen vorhanden und komplett?
– Bei Häkchen: Sind die Häkchen rostig? Kann man sie austauschen?
– Lässt sich (bei zweifädigen Rädern, Bock und Ziege) die Stellschraube bewegen?
– Bei zweifädigen Rädern (Bock und Ziege): Ist der Wirtel vorhanden?
– Wieviele Rillen hat der Wirtel (Übersetzungen)? Ist der Wirtel ausgeschlagen?
– Wieviele Spulen sind vorhanden
– Sind die Spulen ausgeschlagen?
Einzug:
– Ist das Einzugsloch aus Holz oder Metall?
– Bei Holz: Ist es rauh?
– Bei Metall: Ist es rostig?
Schwungrad:
– Ist das Schwungrad an irgend einer Stelle gebrochen? Auf Verbindungsstellen achten!
– Ist das Schwungrad verzogen oder unwuchtig (kann meist nur durch Besichtigung genau festgestellt werden)
– Ist die Achse gerade oder verbogen?
Metallteile
– Ist an Metallteilen Rost/Flugrost vorhanden?
Sind diese Punkte geklärt und man mit dem Gesehenen zufrieden, dann steht einem Kauf nichts im Wege. Sind einige Dinge zu reparieren muss man sehen, wieweit man sich zutraut, diese Reparaturen durchzuführen. Kleinigkeiten wie Lederlager zu tauschen, Häkchen zu entrosten oder zu erneuern, das Rad zu reinigen und das Holz zu ölen sind für die meisten kein Problem. Sind Ersatzteile zu fertigen oder größere Holzarbeiten zu erledigen, sollte man sich vor dem Kauf darüber im Klaren sein.