Picardie-Spinnrad

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Arachnida
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Picardie-Spinnrad

Beitrag von Arachnida » 10.06.2020, 08:21

Eigentlich wollte ich nach dem Rumpelstilzchen kein Rad mehr, aber da hat auf den Kleinanzeigen ein kleines Spinnrad mein Interesse geweckt. Die Verkäuferin war so nett zu versenden und gestern ist das Rad bei mir angekommen (vielen Dank an Tulipan an der Stelle!)

Es handelt sich um ein sogenanntes Picardie-Rad. Diese Räder sind ursprünglich Ziegen ohne Tritt, dafür mit einer Kurbel an einem größeren Schwungrad und einem frei montierten Flügel. Später kamen dann auch Bockräder wie dieses hinzu, bereits mit Tritt. Dieses zierliche Rad scheint ein typisches Spinnstuben-Rad zu sein da es sich locker mit einer Hand tragen lässt. Bedingt durch den geschraubten Flügel der über den Einzug geschoben wird, ist das Einzugsloch sehr fein und für Flachs konzipiert.

Besonders spannend finde ich die zahlreichen Details am Rad: So ist das Schwungrad nicht nur mit gesteckten Holzstiften wie oftmals fixiert, sondern es sind zierliche Holzschrauben, die zusätzlich ein Holzstück in Position halten sodass die Achse gut im Lager sitzt. Der Knecht ist ebenfalls mit einer Schraube fixiert, die Wirtellager sind vermutlich aus Blei (Zinn?). Das Schwungrad hat ebenfalls eine Bleieinlage, diese ist leider verzogen sodass sie dadurch an die Basis des Rades schlägt. Die Metallteile werden mich noch vor ein Problem stellen da das vordere Wirtellager verbogen ist und es hoffentlich beim Geraderichten nicht bricht. Für Tipps von metallkundigen Bastlern hier wäre ich dankbar! Der Flügel ist aus Metall. Alles ziemlich rostig.
Beim Wirtel sowie bei der Spule ist ein wenig Holz ausgeschlagen, da werde ich auch überlegen müssen wie ich es richte. Unten an der Basis finden sich Reste eines Etiketts, leider kaum mehr zu entziffern. Die Spule ist winzig!, unten ein Vergleichsfoto mit einer Standard-Ashford-Spule. Interessant ist dass die Spule dünne Messingeinlagen als Gleitlager besitzt. Hier werde ich noch weitere Spulen benötigen, da wirklich wenig auf die Spule geht.

Bitte entschuldigt die schlechte Bildqualität, ich hab die Fotos noch gestern abend gemacht :O

IMG_7589.jpg
spulen.JPG
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IMG_7599.jpg
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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von borekd » 16.06.2020, 08:36

Hallo Arachnida,

ein ähnliches Rad steht in dieser Galerie:
https://www.scforum.spinnradclub.de/vie ... 238&t=8412
Die Eigentümerin ist scheinbar zumindest hier im Forum nicht mehr aktiv, dennoch kann man sie versuchen per Mail zu erreichen.

Einen Spinnflügel aus Metall (nur ist er wesentlich größer) habe ich bereits erfolgreich entrostet und die Flügelholme gerichtet. Ich verwendete dazu verschiedene rotierende Drahtbürsten (aus Messing und Kunststoff), eingespannt in eine Minibohrmaschine von Proxxon. Einige Fotos sind in diesem Thread:
https://www.scforum.spinnradclub.de/vie ... 14&t=28406
Sollte bei Dir auch das Einzugsrohr verbogen sein, ist das ein deutlich größeres Problem. Rohre kann man mit Hausmitteln nur sehr schlecht (bzw. ggf. gar nicht) richten.

Zum Entrosten kann man z.B. auch Essig nehmen. Die Anleitung dazu empfehle ich in einem Metaller-Forum zu suchen, z.B. hier:
https://forum.zerspanungsbude.net/portal
Auch diverse Konservierungs- Reinigungs- und Kriechöle, wie z.B. Ballistol oder WD40, könnte man probieren.

Gruß
Borek

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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Arachnida » 16.06.2020, 14:20

Hallo borek,

danke für deine hilfreichen Tipps! Ich habe ebenfalls mit dem Proxxon und diversen Bürsten entrostet, hat gut funktioniert.

Spindel und Einzugsrohr sind super, da gabs nichts zu richten.

Die vordere Halterung hab ich wieder mit viel schwitzen und Vorsicht ziemlich gerade bekommen, da ich als Laie nicht exakt beurteilen kann, ob es Blei oder Zinn ist. Warscheinlich sowieso eine Legierung. Blei ist ja wesentlich brüchiger, da hatte ich wirklich Bammel dass es reißt. In das Metallerforum schau ich sicher mal, danke für den Link!

Allerdings weist der Flügel immer noch eine Neigung nach unten auf, wobei ich nicht beurteilen kann, ob das Absicht ist, so wie bei einem Charkha, wo die Spindel ja auch im Winkel nach unten steht.. Sieht man sich die Rückseite an so sind die Halteschrauben für die Metall-Lager nämlich in einer Linie. Da würde mich interessieren wie du das beurteilst.

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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von borekd » 18.06.2020, 07:50

Hallo Arachnida,

die Schräglage sieht weder nach einem Fertigungsfehler noch nach einem Verzug aus, dafür ist sie viel zu groß. Allerdings kann ich mir keinen Grund vorstellen, warum das so gewollt sein sollte.

Kann es sein, dass die Halterungen (oder nur eine davon) um die Achse der Halteschraube um 180° verdreht eingebaut sind? Und/oder miteinander vertauscht? Oder sind die Holme miteinander vertauscht? Ich habe so ein Rad in natura noch nie gesehen, und anhand der Fotos kann ich es nicht erkennen.

Gruß
Borek

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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Arachnida » 18.06.2020, 19:18

Hallo, nein, falsch zusammengebaut ist nichts, habe extra vorher Fotos gemacht und die Teile in beschrifteten Tüten gelagert, damit ich nichts verwechsle. Und die Aussparungen für die Lager sind auch unterschiedlich, es passt immer nur das Lager in die entsprechende Aussparung.
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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Tulipan » 19.06.2020, 21:14

Das Lendrum ist ja auch schräg, damit man einen besseren Blick auf die Spule hat. Vielleicht verhindert es auch Klappergeräusche, weil die Spule nicht so leicht hin und her rutschen kann.

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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Arachnida » 20.06.2020, 08:06

Tulipan hat geschrieben:
19.06.2020, 21:14
Das Lendrum ist ja auch schräg, damit man einen besseren Blick auf die Spule hat. Vielleicht verhindert es auch Klappergeräusche, weil die Spule nicht so leicht hin und her rutschen kann.
Beim Lendrum ist aber der Rahmen schräg, der Spinnkopf hat zum Rahmen trotzdem einen 90°-Winkel. Deine zweite Vermutung klingt plausibler, da dabei Wirtelachse immer leicht nach vorne rutscht und in dieser Position bleibt. Das reduziert Klappergeräusche natürlich stark. Und da die Spindelhalterungen aus Blei/Zinn sind, ist die Geräuschentwicklung noch etwas heftiger als bei reinen Holzteilen.

Wenn ich den vorderen Achsenhalter nach oben ziehe (ist nur gesteckt), sodass die beiden oberen Enden in der gleichen Höhe sind, dann passt es nämlich nicht mehr und die Achse klemmt. Ich vermute dass es sich dabei also um ein Feature handelt, nicht um einen Fehler. Genaueres wird sich beim Probespinnen zeigen. Ich muss noch den Korpus fertig machen, aber leider ist das Wetter momentan grauslich sodass ich nicht am Balkon arbeiten kann.
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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Glaskocher » 20.06.2020, 21:02

Wie hoch ist das Einzugloch relativ zur Hand bei bequemer Sitzhaltung? Könnte es sein, daß die Verlängerung der Spulenachse ungefähr auf den Bauchnabel der Spinnerin zeigt, wo bei bequemer Haltung auch die Hände arbeiten? Zumindest wäre das eine recht zwanglose Erklärung der Neigung.

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Re: Picardie-Spinnrad

Beitrag von Arachnida » 21.06.2020, 16:33

Glaskocher hat geschrieben:
20.06.2020, 21:02
Wie hoch ist das Einzugloch relativ zur Hand bei bequemer Sitzhaltung? Könnte es sein, daß die Verlängerung der Spulenachse ungefähr auf den Bauchnabel der Spinnerin zeigt, wo bei bequemer Haltung auch die Hände arbeiten? Zumindest wäre das eine recht zwanglose Erklärung der Neigung.
Hallo Glaskocher, kann deine Vermutung bestätigen, die Höhe ist genau im Bauchnabelbereich. Es ist ausnehmend angenehm zu spinnen. Ich hab es heute zusammengebaut und den ersten Testspin gemacht. Einzig die Bremse ist etwas frickelig, da muss ich noch ein wenig experimentieren. Dazu mehr in einem weiteren Posting. Hier mal ein Bild, man kann wirklich superfein spinnen und das Rad ist eine richtige Rennsemmel.

Schade ist nur dass das Schwungrad eiert und das beim Spinnen nicht schön aussieht, technisch hat es aber keinen Einfluss.


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