Wartung nach langem Stillstand

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wollwolff
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Wartung nach langem Stillstand

Beitrag von wollwolff » 21.12.2012, 17:39

Hallo Ihr Lieben,
wer kennt nicht auch das "fast normale" Spinnradschicksal: Jahrzehnte auf dem Dachboden, wiederendeckt von Spinn- Neuling.

Um hier den Startfrust nach Wieder-Inbetriebnahme herunterzufahren, empfahl ich eine Wartung und regenerative technische Durchsicht
und Ergänzung vor den eigenen Versuchen.

Hier meine Geschichte:

Das sehr schöne und robuste Bockrad zeigte keinen Wurmbefall und keinen massiven Schaden. Lediglich ein Dreibein-Bein war ausgebrochen,
die Metallteile klemmten durch Schmock und Rost, das Holzverstellgewinde war fest, die Steck- Konus- Verbindungen klemmten nicht richtig,
einige Bauteile fehlten und der Knecht-Lederstreifen war bröselig wie Schokolade.

A
Ich zerlegte die Teile zum Erkennen und Prüfen. Danach begann ich mit dem Festsetzen des 3. Beines mit Konus nachschaben und Leimreste entfernen, im Loch und am Bein. Danach erst trocken zusammengefügt als Probe, dann mit Leimangabe tief eingepresst und wackelfrei mit Spanngurt über Nacht fixiert.
Spinnwarten2.jpg
B
Das Holzgewinde war fest. Hier nahm ich einfaches Hartwachs ( = wasserdünne Autopflege) und gab mit Pipette einiges an die Gewindeeintritte. Mit " Pilgerschritt- Drehabschnitten" = 1/2 vor, 1/4 zurück usw., kam dann auch bald wieder die Gängigkeit im Holzgewinde
und die Restsubstanz vom Hartwachs bildete im Gewindespalt einen dauerhaften Pflege- und Gleitfilm, Holz auf Holz.
Spinnwarten4.jpg
C
Die Spinnwelle war ganz rostbefallen. Punktuell reinigte ich mit Schleifleinen und Schlüsselfeilen das Spinnmaul innen und außen am Lagersitz.
Das ging z.T. auch rotierend im Bohrfutter. Der Bereich im Flügel-U war aber danach immer noch rostig. Hier half dann die Schraubstockkur.
Ich trennte vorsichtig einen 3-4 mm breiten Streifen Schleifleinen vom Bogen längs ab. Mit diesem umschlang ich die Welle mit 360° ( wie ein Alpha) und zog beide Enden etwas auseinanderweisend hin und her. So erreichte ich den gesamten Bereich im Flüghelraum und die Welle wurde schön sauber. Anschließend wachste ich alle gereinigten Stahlteile neu ein.
Spinnwarten1.jpg
D
Die Spule zeigte auf der Flügelinnenseite einen Krustenaufbau aus Schmierresten, Fasern und Harz. Diese bildete eine unwuchtige Borke, die immer am Flügel hakte. Ein Überdrehen der balligen Spulenseite schaffte hier wieder die notwendige Geometrie. Auch die Bohrung wurde mit einem passigem Bohrer wieder rund und leichtlaufend.
E
Der Tritt und die Achse fehlte. Frei nach meinem Empfinden wählte ich hier die vorgestellte Ersatzlösung. Da die Füsse unten 2 schräggebohrte
5mm Löcher hatten, war die Lage der Trittachse klar ( vor dem Fuß-Neu-Einleimen steckte ich eine neue 5mm Achse quasi gleich als Fluchtschablone mit durch und sicherte von innen mit 5 mm Stellring gegen herausschieben).
Mit einem Buchen - Brettchen mit Nut und Endradien war die Auflageform klar. Dieses sicherte ich von unten mit 2 Holzschrauben mit
U-Scheiben gegen Hochheben von der Trittachse.
Spinnwarten5.jpg
Hierauf leimte ich in Ausrichtung zum Pleuel/ Zugstange das Trittbrett, vorne schlanker werdend, auf und sicherte mit 2 Schrauben von unten.
F
Das Pleuel verband ich mit einer ca 4x4mm Lederschnur ( Streifen vom alten Hundehalsband) in einer bereits vorher vorgestellten bewährten
Art, dem Durchziehen,Wiederzurückziehen und verpflocken mit einem Holzkeil, mit dem Tritt an entsprechend ermittelten Stelle.
Spinnwarten6.jpg
G
Mit einigen Abschlußdekos, wie Spitze am Wockenstab als Zierspitze und Abfallsicherung von Kurbel mit Bucheholzkugel wurde das Rad vervollständigt.
Spinnwarten3.jpg
Spinnwarten7.jpg
H
Das Rad ist ein zweifädiges und wurde von mir wieder so mit einem kräftigen Flachszwirn für Zweifädigkeit aufgebaut.
Angetroffen wurde das Rad jedoch mit einer knotendominanten einfädigen Paketschnur, wobei die Bremse fehlte, bzw. auch nicht als
Provisorium am zweiten Rillrad vorgesehen war. Sicher hätte das Spinnad bei eigenem Inbetriebnahmeversuch eine Frustbarriere vorgehalten.
So aber hat sich die Besitzerin als Spinn-Neuling richtig entschieden und spinnt mittlerweile mit viel Freude.
Spinnwarten8.jpg
Viel Spaß beim Betrachten der Wartungsschritte und vielleicht sind die Bilder für manche/n eine kleine Hilfe.

LG Jürgen
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Zinnober
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Re: Wartung nach langem Stillstand

Beitrag von Zinnober » 22.12.2012, 16:15

HAllo Jürgen,

danke für Deine Bilder!
Der Hinweis mit dem Schleifleinen hat mir, wenn auch n icht für mein Spinnrad, aber eine andere restautierungsabreit sehr geholfen! Danke!

lg, Zinnober
Wenn nur noch Gehorsam gefragt ist und nicht mehr Charakter, dann geht die Wahrheit, und die Lüge kommt.

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